Blockbuster der Berliner Feierkultur
Der Berliner Club Berghain feiert den 10. Geburtstag mit einer Kunstausstellung, während der Türsteher Sven Marquardt seine Autobiografie vorlegt. Eine fast unglaubliche Geschichte.
Es ist beeindruckend, vor diesem Bau zu stehen, der seit zehn Jahren das Berghain beheimatet. Diese Mischung aus Beton-Brutalismus und sozialistische Einschüchterungsästhetik, zwischen Moderne und Neoklassizismus! Genau so hoch wie die Wände türmen sich die Mythen über sexuelle Entgrenzung, über den Darkroom und Frauenlaute in den Unisextoiletten. Das meiste ist Seemannsgarn, erdacht von Journalisten ohne Landgang. Sicher ist dies: Man spricht vom weltweit berühmtesten Club.
Ende letzter Woche, als die Ausstellung zum Jubiläum eröffnete, war die Schlange noch länger als an einem Clubabend. Länger als bei Blockbustern in der Neuen Nationalgalerie oder vor dem Neuen Museum sowieso.
Angehörige der Kulturelite rollen schon müde die Augen, wenn sie wieder einen ausländischen Gast ins Berghain schleusen sollen. Selbst Politiker rufen an, um Begleitung in eins der drei wichtigsten Kulturhäuser der Stadt zu organisieren. Staatsoper, Philharmonie, okay, kann man mit Geld oder Status regeln. Komplizierter ist es, in den Technotempel Berghain zu kommen: In New York oder London sorgen Celebrity oder Silikon für Einlass, aber in Berlin nützt das nicht immer. Rinn, raus, du gehst nach Haus’.
Wenn man endlich drin ist in der Jubiläumsausstellung mit dem Titel «10», sieht man Arbeiten von Künstlern aus dem Berghain-Umfeld. Wie etwa vom Zeichner Marc Brandenburg, der früher am Tresen arbeitete. Vor fünf Jahren gestaltete er die Fenster der Panorama Bar, die ein Stockwerk über dem Berghain liegt und wo die Partys noch länger dauern. In der Ausstellung betreibt er einen Kiosk und verkauft Vorlagen für Tätowierungen – abwaschbare allerdings, wie aus dem Kinderkaugummi. Lustiger, entspannter kann man mit der Marke Berghain nicht umgehen: Jeder starke Tresenarbeiter trägt hier Tattoos, und Brandenburg verkauft nun die Anleitungen zum Coolsein. Ob man mit diesem Accessoire die Schwelle leichter passiert?
Jeder weiss es, das Berghain hat die härteste Tür Berlins. Sven Marquardt, der Chef-Türsteher, tauchte schon in Talkshows auf, während die beiden Besitzer keine Interviews geben. Jetzt hat Marquardt sogar seine Autobiografie geschrieben, zusammen mit der Journalistin Judka Strittmatter.
Angenehm, weil unprahlerisch: In «Die Nacht ist Leben», wie Marquardts Memoiren heissen, hält sich der Türsteher und Fotograf nicht lange mit der sagenumwobenen Türpolitik auf. Noch nicht einmal vom Club ist viel zu lesen. Man erfährt stattdessen einiges über die Bohème in Prenzlauer Berg, jenem Stadtteil, der zu DDR-Zeiten verfiel und heute zu den teuersten Lagen zählt. Da steckt viel Nostalgie drin, so wie in Marquardts viel gezeigten Fotografien: Dort werden Randständige als randständig ästhetisiert, die keine Randständigen mehr sind (das wären heute Flüchtlinge, nicht gezupfte Berliner mit tollen Tattoos). Das Ergebnis sieht manchmal aus wie Modefotografie. Manchmal ist es auch welche.
Allerdings: Wer gut 50 Jahre Berliner Nacht- und Kulturleben auf dem Buckel hat wie Marquardt, kann von extremen Veränderungen berichten. Und die Ost-Identität ist auch für das Berghain nach wie vor wichtig. Der Vorgängerclub hiess Ostgut, wie heute noch das Label, auf dem knochtrockener Techno erscheint. Und der Tonfall, im Buch wie im Club selbst, hat viel von dem, was man mit dem Osten verbindet: direkt, zuweilen nassforsch, an guten Tagen herzlich grundiert.
Doch warum avancierte ein Technoclub homosexueller Prägung zur begehrtesten Adresse Berlins? Die Antwort ist nicht allein innnerhalb der Mauern dieses ehemaligen Heizkraftwerkes zu suchen.Schwulsein ist heute eine sexuelle Orientierung aber nicht immer gleich ein Thema; Tätowierungen trägt auch der Beamte aus dem Umland; und Berlin wurde dank der Billigflüge, Hostels und Gelassenheit in Moralfragen zur Feiermetropole. Als dann die Love- und Busenparaden verschwanden, ging Techno erst richtig um die Welt – nicht mehr am Tag, sondern in der Nacht. In Berlin tag und nacht. Das Berghain ist Teil dieser Entwicklungen. Und hat dennoch ein paar Dinge besser gemacht.
Während man in manchen Clubs kaum mehr tanzen kann, weil Selfie-knipsende Touristengruppen im Weg rumstehen, fliegt man im Berghain umstandslos raus, wenn man fotografiert. Die Strenge ist Teil der Inszenierung, vom Raum bis hin zur Musik: Dutzendmeterhohe Wände und Trichter aus Beton, harter Techno, exzellenter Klang trotz hoher Lautstärke. Man muss im Soundgewitter die Eleganz dieser Bummmusik erst hören lernen. Bis sie federt. Die DJs machen keine Konzessionen an den Mehrheitsgeschmack, der im Techno zu ähnlich formelhaften Resultaten führen kann wie beim Musikantenstadl.
Doch auch das Berghain hat sein Angebot verbreitert (ohne das Kernprogramm zu verwässern). Unter der Woche zeigen Konzertreihen avantgardistische Popmusik, zu bürgerlichen Tageszeiten. Gelegentlich flirtet man mit der Hochkultur, wenn Stars aus der Staatsoper in den Bunker kommen. Lange Zeit arbeitete man auch am Projekt «Kubus»: in der Halle hinter dem eigentlichen Berghain hätte ein Ort für 2000 Zuschauer entstehen sollen, der genau solche Verbindungen forciert hätte. Nach fast zwei Jahren waren die Auflagen zu gross, der Stahl für das neue Dach zu teuer.
In dieser kaum berührten, nur entkernten Halle hatte der Maler Norbert Bisky letzten Sommer einen Bühnenboden für das Ballett «Masse» entworfen. Vier junge Choreografen zeigten mit dem Staatsballett ihre Stücke zu Technomusik. In der Ausstellung wird dieser Boden nun zum Tänzer: Zwei riesige Planen drehen sich um sich selbst, ein einsames Pas de Deux mit Teppich. Die Masse steht draussen an. Der Star des Abends: Der Name Berghain, der Baustoff Beton, und ein untergegangenes Land, das die Zukunft zu kennen glaubte.
Erschienen in: «Tages-Anzeiger», 11. August 2014