Die Liebe unter Ungleichen
Dan Snaith versöhnt als Caribou die Houseliebhaber mit den Indiefreunden. Das neue Album des Mathematikers heisst «Our Love» und ist kühl und esoterisch zugleich.
Nach acht Stunden Interviews sieht Dan Snaith noch so fit und freundlich aus wie nach acht Stunden im Club hinter den Plattentellern. Als er vor zwei Jahren dem Konzert seiner Band Caribou im Berliner Berghain noch eine DJ-Schicht hinterherschickte und die Party People aus dem Häuschen gerieten, lächelte er auch mal, verrichtete ansonsten ruhig seine Arbeit. Und jetzt, es wäre gerade Essenszeit in einem Alltag mit Kleinkind wie bei Snaith, jetzt redet er nach einem ganzen Tag wach und wie immer: vollnüchtern über seine Musik.
Die Klarheit erstaunt, weil Caribou Spuren von Drogenmusik aufweist. Die Verbindungen aus Dance Music und R&B werden stark gefiltert, bis Temperatur und Farben psychedelisch funkeln. «Für mich geht es zu diesem Zeitpunkt nicht um Drogen», sagt Snaith. «Aber es gibt diese Liebe für Musik aus den späten Sechzigern und den frühen Siebzigern, als Drogen wichtig waren für die Musikproduktion, und vor allem: als die Musiker sich öffneten für die Möglichkeiten des Aufnahmestudios.» Der Mann ist high on Technik, der Rausch kommt von den Maschinen.
Dass er high von Zahlen wird, wusste man schon länger. Der Kanadier Snaith ist Doktor der Mathemathik. Seit 2001 macht er auch Musik, zuerst studienbegleitend, unter dem Namen Manitoba, dann als Caribou oder als Daphni, wenn die DJ-Formel gefragt war. Der Erfolg von «Swim», dem letzten Caribou-Album, hat vor vier Jahren viele überrascht. Am meisten Snaith selbst: «Das war eine weird record», eine seltsame Platte, ruft er ungläubig. Alleine im Studio zusammengesteckt, berstend mit Klangfetzen, Grooves, Perkussion, Querflöte, vieles verhüllt von Effektgeräten, dazwischen seine zarte Kopfstimme. Seltsam, weil zu gleichen Teilen experimentell und körperlich, von offenem Geist und doch mit klaren Signalen der Entgrenzung. Die Beach Boys ohne Matsch im Hirn, aber mit dem Bass in der Hose.
Snaith gelang auch die Übersetzung für die Bühne, vom Mischpult zur vierköpfigen Band. «Man muss neu anfangen, wenn man Caribou aufführen will. Mit vier Leuten kann man nicht drauflosspielen, das führt zu Unbeweglichkeit.» Wie sehr das stimmt, wissen besonders die Jazzfreunde, wenn schon wieder eine unterprobte Band immer gleich «improvisiert». Ekstasen, welche Caribou bei Konzerten hervorrufen, gehen auf Verabredungen zurück: «Im Übungsraum, vor einer Tour, spielen wir erst ein bisschen. Dann reden wir ganz lange.»
Das neue Album flirrt noch intensiver zwischen Konzept und seiner Überschreitung. Zum einen klingt Caribou auf «Our Love» so klar wie noch nie, alles raschelt wie ein frisches Hemd mit Manschettenknöpfen aus Perlmutt. Sitzt, wackelt und hat Luft – Couture für die Ohren. Zum andern tanzt diese Konzeptdisco auch aus der Reihe und torkelt vom Laufsteg: Die Ideen werden zwar spazieren geführt, als wären es Kleidungsstücke, doch der intensive Blick nutzt den Stoff ab, er wehrt und verformt sich, zerfällt oder verschwindet. Gleich das erste Stück führt das meisterhaft vor, die bereits über den Sommer viel gespielte Nummer «Can’t Do Without You».
Während 45 Sekunden setzt ein Stimmsample den Puls fest, es klingt nach nach seriellem Soul, während ein Schlagzeug ohne Mitten und ohne Bässe sich hinter einem Vorhang versteckt und ein waberndes E-Piano drei Akkorde auf Moll niederschweben lässt. «Can’t do without, can’t do without, can’t do…» Ein langes Vorspiel. Der Raum wird jetzt weit, die Kopfstimme von Snaith singt die Zeile obenrum zu Ende, «I can’t do without you», wieder in der Schleife, bis nach 90 Sekunden das Schlagzeug das Versteck verlässt. Die Idee bleibt intakt, verändert aber ständig Klang und Lautstärke. Analoge Synthesizer schmeicheln nun mit warmen Filtern, bis die Drähte glühen, stören, zischen. Ich kann nicht ohne dich leben – Grundsatz, Glück, Abgrund jeder grossen Liebe. All dies führt der Track in knapp vier Minuten vor, mit hundert verschiedenen Zuständen.
Neu ist für Caribou, wie gezielt solche Phasenverschiebungen und Effekte auftreten. «Früher habe ich 100 Instrumente aufgenommen, mich für 40 entschieden und die dann alle mit demselben Effekt überzogen. Jetzt versuche ich, mit viel weniger Spuren zu arbeiten, und nur einzelne davon zu verfremden», sagt Snaith. Und da kommt man bei diesem nüchternen, freundlichen Tüftler in die Nähe von so etwas wie konkreter Esoterik. «Der Erfolg verändert vieles, und die Technologie kommt noch dazu: Es ist enorm, wie sehr man die Reaktionen der Hörer mitkriegt auf so einer Tour und am andern Morgen im Internet». Und diese Nähe hat Caribou dazu gedrängt, die Musik klarer zu gestalten, einen direkteren Weg zum Publikum zu finden. «Das ist eine der Bedeutungen des Albumtitels: Our Love. Ich meine diese komische Gemeinschaft, und ich weiss, dass das bescheuert klingt.»
Man könnte Snaith entschuldigen mit den Hormonen einer jungen Vaterschaft. Er erzählt freimütig davon, wie oft er früher alleine gewesen sei, auch im Studio, und wie sich sein Leben nun gegenüber anderen öffne, wie Liebe ein neues Thema werde mit den Jahren. Aber seine Musik versprüht nicht den warmen Nabelspray der Einigelung. Sie handelt, im Gegenteil, stets auch vom Club, wo der Liebesbegriff weiter wird.
Liebe auf dem Dancefloor ist nicht eine Feier unter Gleichen, sondern ein Fest der Ungleichen. Es ist wunderbar, mit Freunden zu tanzen. Aber jeder Türsteher von Rang achtet auf ein gemischtes Publikum – der Rest ist Privatparty oder Schrebergarten. Wie viele Missverständnisse da im Umlauf sind, hat unlängst das zehnjährige Jubiläum des Berliner Clubs Berghain gezeigt, als einige Reporter, denen Techno etwa so vertraut ist wie dem Schlittenhund die Sahara, nur über die Warteschlange nachdachten und hinter der Tür das Reich der Gleichen vermuteten – analog zur Oper oder wie man sich diese vorstellt, wenn man nicht reinkommt. Doch der ideale Club ist ein anderer, und Caribou übersetzt diese Vielheit in Musik. Auch als Person Dan Snaith: Im Berghain trug er Sandalen, eine Spießerbrille und ein weisses T-Shirt.
Caribou: Our Love (City Slang, 2014)
Erschienen in: Tages-Anzeiger, 3. Oktober 2014