Das Pony verlässt den Hof
Jens Friebe stellte im Bi Nuu sein bislang bestes Album vor
Neben Jens Friebe, vorne an der Bühne im Bi Nuu, steht der stets bewegte Chris Imler hinter dem Schlagzeug. Dünn, dandyesk und rhythmisch unwiderstehlich. Imler ist ein Blickfang, Oberlippenbart und Ausdruck erinnern an den Hollywoodstar Clark Gable, noch mehr an dessen Wiedergänger im Horrorfilm, an Vincent Price. Verrückt. Der Liederschreiber und Sänger Friebe selbst steht schier reglos in der Mitte – schwarzes Hemd, helles Gesicht, Freiflächen für die Wünsche seiner Fans. Hier der (vielleicht böse) Clown, da der (vielleicht sensible) König, wie im Kinderbuch ohne Hierarchie.
Gleich der erste Song des Abends weist den neuen Weg, den Jens Friebe als Bühnenperson beschreitet. «Ich hörte die Fanfaren, ich hörte die Fanfa-a-a-arn / Ich hielt den Atem an / Als Ihr eingeritten kamt», singt er mit Vokalen wie aus der Trompete. Und Imler schlägt die Pauken so groovy, wie das alte Rom sie nie gehört. Die Fanfaren sind der Auftakt eines Abends, der voller Versprechen liegt, weil das neue, fünfte Album von Jens Friebe sein bestes ist. Doch in diesem Lied singt Friebe selbst als Fan: «Ich wusste zuviel von Euch», ein poetisches Protokoll einer Entzauberung. Am Schluss heißt es: «Ihr wart so verwirrend schick / Alle Abenteuer in Eurem Blick / Doch jedes Pony kennt einen einzigen Trick / Und verlernt es ihn / Bricht ein Genick.»
Das neue Album heißt «Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus» und gibt Bericht über den Wandel vom tollen Sänger für Gleichgesinnte zu einem komplexeren Künstler. Dieses Pony hat den Hof verlassen. Bis vor ein paar Jahren dachte man noch, Jens Friebe verstanden zu haben. Sah super aus, schrieb Songs mit Slogans, sexuell und politisch auf dem neusten Stand. Auch stilistisch passte die Mischmusik aus Chanson, Elektropop und ironischem Indie gut zur Zielgruppe.
Jetzt sieht er immer noch super aus und textet besser denn je, er sucht die Räume zwischen Singen und Sprechen und findet dabei das Säuseln. Aber es gibt mehr Durchzug, Friebe hat die Pausen entdeckt in den Arrangements. Und die Löcher im Selbstbild: Er mache alles richtig, meinte vor Jahren eine feministische Zeitschrift. Als Künstler ist es interessanter, auch vom Nicht-Richtigen zu erzählen: «Sei einfach nicht Du selbst.»
Friebe hat manchmal Angst vor seinem Witz, vor seiner Wirkung. Und versteckt vieles, um nicht in die Nähe eines Zirkusdirektors oder Poppolitiker zu geraten. Dennoch ist er ein Geist aus der Komödie, der Gattung der Distanz, des Humors, aber auch des Gelingens: «Nackte Angst Zieh Dich An Wir Gehen Aus» ist nicht umsonst der Titelsong des Albums. Man muss den Dingen ins Auge blicken, um darüber lachen zu können. Oder um darüber zu singen, wenn es mal wieder nicht klappt, wie in «Hölle oder Hölle»: «Ein Nazi hat mein Bett aufgebaut / Und ich hab’ geschwiegen und weggeschaut / Aus schlechtem Gewissen und Wissen um die / unausgesprochene Hierarchie».
Im vollen Saal des Bi Nuu, unter der Hochbahn am Schlesischen Tor, spielen Friebe, sein Drummer Imler und Andi Hudl an den Synthies auch einige langsame Nummern. Ungewöhnlich. Doch spätestens kurz vor Schluss hört man den Grund auch live, in der Ballade «Zahlen zusammen gehen getrennt»: Friebe hat die alte Kunst der Diseusen studiert, er ist jetzt auch Diseur, ein Erzähler, der immer kurz vorm Singen steht. Friedrich Hollaender konnte viele Lieder davon singen, es ist die Tradition des Berliner Kabaretts der Zwanzigerjahre. Solch ein Ton hat auf Kleinkunstbühnen eher als Formel überlebt. Im zeitgenössischen Pop ist diese Sprechhaltung selten, im Refrain gibt Friebe sie auch wieder auf. Er weiß, was er tut. Das Publikum weiß es nicht mehr und kriegt zwei Zugabenblöcke und viele Kusshände. Die Rassel von Chris Imler ist schon lange kaputt.
Jens Friebe: Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus (Staatsakt, 2014)
Erschienen in: Berliner Zeitung, 17. Oktober 2014