Googelt das mal!
Die Hamburger Band Kante stellte in der Volksbühne ihr neues Album «In der Zuckerfabrik» vor
Peter Thiessen und seine Band Kante haben in den letzten sieben Jahren vor allem Theatermusik gemacht. Und so enthält auch das neue Album «In der Zuckerfabrik», das die Hamburger am Montag in der Volksbühne vorgestellt haben, ausschließlich Kompositionen für das Theater. Eine vom Kollegen Jens Balzer in dieser Zeitung oft und stets mit Verve vertretene These lautet, dass das Theater die Schaffenskraft jeden Popmusikers zerstört, siehe Lou Reed, TomWaits oder auch Rufus Wainwright – sie alle seien nach ihren Bühnenausflügen künstlerisch erledigt gewesen. Möglich wäre indes auch, dass die Theater nur deshalb an diese Musiker herangekommen sind, weil die künstlerisch bereits vorher erledigt waren. Im Fall von Kante ist aber beides anders, und die Frage der Beziehung zwischen Bühnenkunst und Popmusik wird um ein paar Facetten erweitert.
Der Vorhang ist riesig, wir sind in derVolksbühne, und eigentlich wartet man ständig, dass der Plüsch mal purzelt und etwas passiert. Vielleicht ein Schauspieler hereinstürmt. Oder eine Leinwand erscheint, auf der man ein paar Bilder der Theaterinszenierungen sieht, an denen Kante mitgearbeitet haben. In Wien am Burgtheater, im Dresdner Staatsschauspiel, oft auch an der Schaubühne in unserer kleinen Stadt. Aber Peter Thiessen spielt den Theaterkontext herunter. Ein halt «unvermeidlicher Autor» sei Brecht, wenn man «so im Theater rumgurkt». Jetzt kommt die tolle Schauspielerin Jule Böwe auf die Bühne für ein Lied von diesem Brecht, eh, Dessau, sie spielt dort die Tabakladenbesitzerin Shen Te. Oder so, Jule? Jule nickt hastig, sie will anfangen (später kommt Sebastian Blomberg und möchte auch, dass es gleich losgeht).
Ob Thiessen das jetzt alles erklären soll? Auch das mit diesem Sophokles und Antigone und den sogenannten Standliedern ist zu kompliziert, weshalb der Sänger das Publikum mehrmals zur Partizipation auffordert: «Blabla. Googelt das mal!»
Gute Ansagen kann man nicht googeln, die muss man schreiben. Klar, Thiessen ist Musiker, ein ganz fabelhafter dazu mit einer auch noch schönen Samtstimme, die nie das Schlüpfrige sucht, obwohl sie das schnell finden würde. Und so präsentiert sich auch die Band, die konzentriert spielt und überhaupt alles sehr gewissenhaft ausführt. Viel Perkussion wird aufgefahren, ein halber Carl-Orff-Park steht auf der Bühne herum. Und Jonas, der neue Gitarrenroadie, hat viel zu tun an dem Abend: Ständig werden neue Instrumente herein- und wieder herausgetragen, ein paar Mal recht erlesene Gitarren, zum Beispiel aus dem Traditionshause Framus, kurz für Fränkische Musikinstrumente. Ja, Kante sind Musiker, nicht Vermittler. Künstler, nicht Regisseure. Das legen diese Gesten zumindest nahe. Aber Theatermusik bar jeden Kontexts ist dann doch ein kleines bisschen öde.
Am besten sind jene Stücke, in denen die Band stilistisch die Elbe hochschippert, wo man nach langer Fahrt gerüchteweise den Atlantik sehen soll. Die Aneignung von Americana zwischen Bob Dylan und Robert Wyatt hat einen entspannten Groove zur Folge. Theatral sind diese Stücke in dem Sinne, dass sie an Klangteppichen weben und mit lockeren Dynamiken spielen. Wird die Musik expressiv, mit harten Brüchen und Akzenten, aber auch langen Pausen dazwischen, möchte man wirklich mal was sehen (oder erfahren).
Kante und ihrer Lieblingsregisseurin, der Berlinerin Friederike Heller, kommt das große Verdienst zu, beharrlich an einer Neudefinition von popmusikalischem Theater gearbeitet zu haben. Das war nicht das längst historische Poptheater, das mit etwas Musik und etwas Popkultur die klassischen Stücke für die Gegenwart eher frisiert als anders begreift. Und es war auch immer mehr als Umbaumusik bei Kante/Heller. Mit ihnen kam das Schauspiel nahe an so etwas wie Sprechoper.
Dazu braucht man handwerkliche Fähigkeiten, die Kante schon vor den Theatertrips hatten und noch immer haben. Aber wenn die Band in der Volksbühne als erste Zugabe das Titelstück ihrer letzten Nicht- Theaterplatte «Die Tiere sind unruhig» in einer krispen, schnellen Version spielen, verlässt man das Theater vor allem deshalb glücklich, weil man weiß, dass Kante selber spitz auf ein «reguläres» Album sein müssen. Mal ganz ohne Theater.
Kante: In der Zuckerfabrik (Hook / Indigo, 2014)
Erschienen in: Berliner Zeitung, 23. Dezember 2014